15/02/2023

Warum Filme sterben

Oder warum trotz Filmförderung, so wenig Honig geerntet wird

Zugegeben eine etwas schief geratene Metapher für das hier gewählte Thema. Die Bienen sterben weltweit, nicht nur in Deutschland. Und die Filmkunst stirbt in Frankreich weniger als in Deutschland. Warum bleiben so viele spannende Ideen auf dem Weg zum Film auf der Strecke, erleben nicht ihre Umsetzung, spenden keinen Nektar für einen möglichen dionysischen Augenschmaus.

Neuanfang Filmförderung

Vor zwei Jahren hatte ich hier im FKK auf ein Thesenpapier von Edgar Reitz hingewiesen. 2018 hatte Reitz eine gelungene Analyse zur deutschen Filmkultur vorgelegt. Jetzt haben sich neun Verbände zusammengeschlossen, um aus der Analyse von Reitz die richtigen Forderungen abzuleiten, was zugegeben ungleich schwieriger ist. Das Papier heißt schlicht: Neuanfang Filmförderung. Dahinter steht die Initiative Zukunft Kino und Film (IZK+F), die sich seit 2020 trifft. Was erstmal, wie ein Doppelwumms klingt, entpuppt sich schnell als ein Knicks vor dem Herrn, auch weil das daran Wohlklingende, nicht die daraus folgenden Konsequenzen mitdenken will. Wie sollen die Forderungen konkret umgesetzt werden? Diese Antwort fehlt weitgehend. So fühlte es sich zumindest bei mir an, als ich es las. Dann schwand meine Zuversicht, je länger ich darüber nachdachte. Ich werde das Papier nur auszugsweise und nicht Punkt für Punkt abarbeiten. Es ist eine erste Annäherung. Ich habe es aus meiner Bedürfnisstruktur als Filmemacher entsprechend polemisch aufgenommen. Passt dieser Neuanfang zu mir? Wie er anderen Filmemachern passt, kann ich nicht wissen, nur vermuten.

Wie viel Geld gibt es für die Kunst im Film?

Es gibt das Dogma der Kulturindustrie und den Ruf nach Kreativität. Kommerzieller Erfolg kann nicht sicher reproduziert werden. Noch weniger reproduzierbar ist Kreativität. Echte Kreativität schert sich einen Teufel um Erfolg. Sie kann aber trotzdem potenzieller Vorbote des Erfolges sein, ohne dass sie oder der Markt es ahnt. Das eine kann in dem anderen passieren. In dem Papier steht z.B. dass es eine Förderung nach künstlerischen Kriterien (KK) und – eine Förderung nach wirtschaftlichen Kriterien (WK) geben soll. Aber was passiert, wenn man es trennt? Ist das wirklich eine gute Idee? Wo würde das hinführen, wenn man es tatsächlich umsetzt? Eine gerechte Mittelaufteilung würde dabei wohl kaum rausspringen . Sowas endet meistens in 98% zu 2% für die WK, und das würde noch ein verdammt guter Wert für KK sein. FFA und BKM haben zusammen 600 Mio, davon 15 Mio. für die künstlerischen Filme bisher – Quelle: black box 309. Neuanfang Filmförderung will die Summe gerecht teilen. Ich halte es für völlig illusorisch, dass Kunst und Kommerz das Gleiche bekommen, jeweils 300 Mio. Für mich klingt das, wie ein frommer Wunsch. Die Verbände, die daran mitgewirkt haben, stehen nicht in dem Verdacht, sich besonders um WK zu kümmern. Ich bin auch gespannt, wie das mit dem Regionaleffekt laufen soll, der ja, richtig beobachtet, nur teurer und umweltschädlicher ist. Dafür müssten sich aber auf der Länderebene die Länderförderungen über einen Schlüssel einigen, andernfalls könnte das maximale Volumen für die Förderung von Filmprojekten, abseits der öffentlich-rechtlichen Sender, unweigerlich schrumpfen, weil Länderförderungen Mischfinanzierungen nicht mehr gerne sehen würden. Oder ist dieser Einwand Unsinn? Gäbe es dann die Losung: Support your Local Hero. Filme aus eigenem Anbau. Alles ’ne Nummer kleiner, oder ein Leuchtturm, der alles frisst. Was würde dann eintreten?

Filme müssen das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllen, steht auch in dem Papier. Keine Frage. Das hat aber am wenigsten mit dem Kern-Problem der Filmförderung zu tun, wenn man an die vier Thesen von Reitz denkt. Ist Green Producing nicht Weltangelegenheit? Oder will man damit nur dokumentieren, dass man den Ernst der Lage erkannt hat? Wir reden hier doch über Filmförderung. Ich fordere die sofortige Einstellung bestimmter Formate, wie Traumschiff und dieser ganzen Kreuzfahrten-Scheisse. Das wäre doch eine sinnvolle Forderung. Vielleicht sollte zusätzlich überprüft werden, ob die Filmvorhaben geltendes Völkerrecht respektieren. Die Filmförderung ist wirklich eine andere Baustelle.

Kreative Menschen selektieren und begleiten

NACHTRAG 18. Februar: Weil es so schön zum Thema passt: Film ist geformte Erzählung und flüssige Form; nicht Look sondern Ästhetik – Ein Statement von Dominik Graf

An der Idee von einer Jury wird immer noch festgehalten. Überwiegend selektiv für die künstlerischen Filme, überwiegend automatisch für die wirtschaftlichen Filme. Ist schon klar. Fack Ju Göthe muss nicht diskutiert werden, das hat der Erfolg schon ausdiskutiert. Wer sich mal vergegenwärtigt, wer in diese Jurys womöglich in der Regel berufen wird, sollte über starke Nerven verfügen. Jurek hat dazu beispielhaft einen Einblick in die Arbeit der Filmbewertungsstelle Wiesbaden gegeben – Zitat: „Erfahrungswerte aus der Praxis müssen mehr berücksichtigt werden. Die, die tatsächlich Content denken/schaffen, leisten einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über eine Filmbewertung.“ Es zeigt ziemlich deutlich, dass ein großer Teil der Juroren, die filmischen Qualitäten nur ungenügend wahrnimmt, weil sie mit Film in ihren eigentlichen Berufen weniger zu tun haben. Sie suchen in den Filmen nach ihren Themen. Wenn sie diese gefunden haben, dann dient der Film als Projektionsfläche, Film und Bewertung fallen dann meistens auseinander. Ich vermute, dass ihre größte Passion darin besteht, dass sie über etwas entscheiden können. Vielleicht sollte die FBW eine ehrenamtliche Pflicht für jeden Bürger werden, weil wir ja alle schon im Kino ausgebildet worden sind.

Wir befinden uns allerdings mit Anträgen auf Filmförderung auf einer Papierebene, hier muss es denn heißen: Every great writer needs a great reader. Die Jurys müssen auf den Prüfstand, das sage ich, in dem Papier der IZK+F spielt das keine Rolle. Es werden kaum Leute aus der Praxis in die Jurys berufen. Wie viele Gewerke aus dem Bereich Film haben überhaupt an dem Papier Neuanfang Filmförderung mitgearbeitet? Der Punkt Rotation (s. Amtszeitbegrenzung) wird stark verklausuliert. Warum nicht klare Zeiträume benennen? Da steht: „Amtszeitbeschränkungen, wie sie für Gremien bereits oftmals selbstverständlich sind.“ Gefühlt widerspricht das meinen Beobachtungen. Da werden weiterhin Leute jahrelang an einem Stuhl kleben. Der schwarze Peter wird weiter zirkulieren. Die Filmemacher und Kritiker können weiter behaupten, dass nicht die richtigen Filme gefördert werden, die Infanterieeinheiten und Entscheider aus der Verbandskultur dürfen sich beschweren, dass keine guten Stoffe eingereicht wurden oder diese nicht ausreichend divers gewesen sind. Und die Filmförderanstalten werden sagen: An uns kann es dann ja nicht gelegen haben. Das bringt mich immer wieder auf die Idee, ob die Verlosung von Fördermitteln nicht am Ende gerechter wäre für alle. Es gibt keine objektiven Kriterien, nur eine vage Idee, die schulpädagogisch in den Richtlinien festgeschrieben wird. Es entscheiden am Ende persönliche Interessen, Vorlieben, Netzwerke und Beziehungen. Das ist nicht verwerflich, sondern nur allzu menschlich. Deshalb darf sich in Gremien personell nichts manifestieren, muss im Fluss bleiben, jährlich! Kurzum: Die Zustimmung von Gremien für bestimmte Filme generiert etwas, dass später als Qualität verhandelt wird. Aus diesem unendlichen Geflecht von Multiplikatoren entstehen weitere Referenzen. Je weiter sich solche Kreise ausdehnen, desto mehr werden diese Filme kollektiv verankert. Der Ruf nach Veränderungen wird erst durch fortwährende Erfolgslosigkeit und Nicht-Berücksichtigung lauter. In einer aus Steuern finanzierten Bürokratie ist Erfolgslosigkeit aber kein wirkliches Kriterium. So können Veränderungen effektiv eingefroren werden.

Aber es kommt noch dicker. Mentoringprogramme sollen her. Da wird über Jahre eine Fehlerkultur gepredigt und gefordert – und nun sollen Mentoringprogramme installiert werden, damit weniger Fehler gemacht werden, so eine Art Betreutes Filmen? Lasst bitte die Filmemacher in Ruhe, lasst sie einfach machen. Mischt euch bitte so wenig wie möglich ein. Das gilt auch für Themen, wie Diversität, die in dem Papier durch die Hintertür eingeschleust werden. Da soll „Soziale Nachhaltigkeit, Ökologie und Diversität“ ohne Eingriff in die Kunstfreiheit gewährleistet werden. Das ist ein trojanisches Pferd. Die Filmförderung wird so zu einem Selbstbedienungsladen für Identitätspolitik, wo über Quoten Filmvorhaben reguliert werden. Dann kann man auch gleich ein Bildungsprogramm starten, das wäre ehrlicher. Schon jetzt sieht man die Folgen. Filme, die nicht authentisch sind, weil sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben, eher mit dem Versuch der selbst erfüllenden Prophezeiung. Zu viele Filme illustrieren gesellschaftspolitische Diskurse und ermüden durch eine öde Filmsprache. Warum gibt es da kein deutliches Vertrauen in die Kunstfreiheit?

Der Filmemacher als souveräner Antragsteller

Lasst doch die Wirklichkeit auf uns zukommen. Erkennen wir den Filmemacher als Souverän seines Antrags an. Aus dieser Praxis folgt die beste Filmförderung, weil sie Aussagewert und Authentizität erhöht. Solange diese ganzen Agenden im Hintergrund geltend gemacht werden, werden sich immer wieder Filmemacher finden, die ihre Filme als Vehikel für Themen betrachten, weil sie denken, dass dies ihre Chancen auf Förderung erhöht. Es geht dann nicht mehr darum, wer sie sind und was sie zu sagen haben oder ihre Vorstellungen sind. Deshalb erfahren wir nichts mehr in den Filmen, außer Allgemeinplätze. Wenn es unbedingt sein muss – sollen sie doch politisch sein, mir egal, aber sie sollten keine Politiker werden! Das wäre ein echter Bug im Fördersystem. Darüber werden sie sich definieren und das irgendwann als ihre ureigene Mission betrachten, der perfekte Selbstbetrug. So schrumpft die Anzahl der Cineasten nicht nur im Kino, sondern auch in der Filmbranche insgesamt. Mich wundert es nicht, dass die Leute dann lieber Marvel gucken. Da bekommt man beides – Schauwerte und Botschaften.

Filmförderung für alle

Ich gehe in dem Papier mit, wenn der Zugang zur Filmförderung vereinfacht werden soll. Eine uralte Forderung von mir. Ich wollte den Antrag auf eine DIN A4-Seite reduzieren, um die Vorleistungen zu reduzieren. Immer noch radikaler als das, was der Neuanfang Filmförderung heute will. Moodboards würden die Gleichförmigkeit von Anträgen eher vergrößern, aber es wäre natürlich bunter und schneller zu lesen als ein Drehbuch oder geschriebenes Konzept. Wie wäre es mit einem Daumenkino?

Die Filmförderungsstruktur muss so gemacht werden, dass jede juristische Person im Land, in der Lage ist, einen Antrag stellen zu können. Momentan ist Filmförderung eher eine elitäre Angelegenheit, die u.a. von den Absolventen und Alumni der Filmhochschulen besonders intensiv genutzt wird. Selbst die ökonomischen Vorbedingungen, die ein Filmstudium benötigt, sind exklusiv. Man bleibt unter sich. Die Filmförderung muss radikal für nicht akademische Kreise und Autodidakten geöffnet werden. Die Filmförderung kann nicht erwarten, dass die Bildungssysteme wieder durchlässiger werden. Eine leichte Sprache sollte deshalb verwendet werden. Dann werden wir bald multiperspektivische Filme bekommen. Dazu gehören dringend Filme, die von unten erzählt werden. Ich höre schon jetzt die Einwände, die keiner öffentlich artikulieren würde: die Qualität der Anträge würde schlechter werden. Na, und! Unbequeme Nachricht: Der Verteilungskampf würde intensiver werden. Wir brauchen aber primär Inklusion, nicht Diversität. Identitätspolitik ist strukturell immer näher am Lobbyismus als am Individualismus gebunden. Es ist nicht interessant, wer welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche Religion und welchen Migrationshintergrund hat, sondern die Geschichten und filmischen Experimente, die erzählt werden, sollten im Fokus stehen. Das bedeutet, die Souveränität der Antragssteller nicht anzutasten, hat oberste Priorität. Ihre Stoffe müssen gleichzeitig von ihnen abgekoppelt und individuell bewertet werden, weil Inhalte selbstverständlich hart diskutiert werden müssen. Wir brauchen dringend eine Diversität der Filmsprachen und Diversität der Stoffe. Von wem die kommen, ist mir schnurzpiepegal. Der Punkt „Akzent auf Talent und Innovation“ wirkt dagegen wie ein Feigenblatt oder etwas besonders schutzbedürftiges. Wer entscheidet darüber, ob jemand ein Talent ist? Filmische Vielfalt ist etwas Selbstverständliches. Experimente gehören in die Mitte, in alle Altersgruppen und nicht an den Rand.

Mach dein Dingwürde Lindenberg sagen

Ob der deutsche Film international erfolgreich sein muss, ist für die Filmförderung doch eher eine uninteressante Fragestellung. Sie hat es nicht in der Hand, sie hätte auch nicht die Mittel dazu. Es hängt von den Antragstellern ab und das, was sie erzählen wollen. Jeder entscheidet doch selbst, ob er Werner Herzog, Maria Schrader, Roland Emmerich, Nicolette Krebitz, Hans Detlef Sierck, Doro O., Oskar Roehler, Doris Dörrie, Wilhelm Hein oder Michael „Bully“ Herbig sein will und damit auch, für welche Märkte er infrage kommt. Und dafür braucht es eine Filmförderung, die das erfasst und den Anträgen nicht mit Richtlinien kommt, die mit Film nur entfernt etwas zu tun haben. Und dafür braucht es eine Jury, die so schnell wieder verschwindet, wie sie installiert worden ist, um Platz für die nächste Jury zu machen. Das ist dann immer noch alles eine Risikoförderung, die aber besser abbildet, was los ist. Sollte die Filmförderung mehr Geld brauchen, weil Tom Tykwer einen Antrag gestellt hat, dann muss sie mehr Geld organisieren. In Frankreich werden die Streaming-Dienste abkassiert, weil man sich den Filmleuten im Land verpflichtet fühlt. Das ist ein bisschen national gedacht, aber den Filmen aus Frankreich hat es nicht geschadet, im Gegenteil. Diesen Hinweis gibt es auch in dem Papier. Das unterschreibe ich sofort.

„Neuanfang Filmförderung“ zündet an keiner Stelle richtig, lässt keinen grundsätzlichen Veränderungswillen erkennen. In dem Papier gibt es zu viele Zugeständnisse und Relativierungen, zu wenig klare und scharfe Forderungen. In wesentlichen Passagen wird genau der Zeitgeist entwickelt, der die Kritik an der Filmförderung auslöste und die damit einhergehende Kritik an deutschen Filme. Mit dieser Form aus Kleinstschritten und Anbiederung wird es noch in Jahrzehnten keine Verbesserung geben. Aber dann wird es wohl auch keine Filme mehr geben, für diese wird jede Hilfe zu spät kommen. In dieser Depression suhle ich mich gerade wie eine Sau. Nachahmung empfohlen.

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