21/01/2023

Die zwei Gesichter des deutschen Films

Bildcollage: (v.l.n.r.:) Fassbinder/Schweiger

„Man muss zumindest versuchen zu beschreiben, was man nicht verändern kann.“ – Rainer Werner Fassbinder

„Rainer Werner Fassbinder ist ein großer Filmemacher gewesen, aber kaum einer seiner Filme ist wirklich völlig gelungen, obwohl sie viele grandiose Einzelszenen enthielten“ dozierte anno 2008 Bernd Eichinger bei einer Veranstaltung auf der Berlinale, um Til Schweiger zu umarmen. Grund: Dessen „Keinohrhasen“ flog schon bei der Vorauswahl zum Deutschen Filmpreis raus, obwohl dieser doch 4,6 Millionen Zuschauer hatte. Tilly revanchierte sich bei Eichinger mit dem Bussi-Satz: „Wenn man diesen Unterschied von Mainstream und Arthaus weg bekäme, würde der deutsche Film explodieren.“ War „Lola Rennt“ (R: Tom Tykwer) nicht schon längst diese Explosion? Durchstöbert man das Netz dazu, kommen schnell erste Zweifel auf. Der Erfolg ist bereits eine Markierung für Mainstream. Und ist „Keinohrhasen“ dann die Explosion gewesen, die besonders Filmkritiker nicht hören wollten?

Die Erfolge deutscher Filme in den USA basieren hauptsächlich auf Nazi-Geschichten und ein bisschen Stasi zur Abwechslung. In Deutschland wird die ewige Bestenliste immer noch von Winnetou-Filmen angeführt. Mainstream aus Deutschland wird eben nicht Mainstream in den USA oder anderen Ländern. Aber es wird dadurch auch nicht automatisch Arthouse, sondern schlichtweg nur erfolgloser Mainstream. Nicht exportfähig, die Gründe sind vielfältig. Wer aus den Filmen liest oder die Produktionsbedingungen untersucht, wird nicht überrascht sein, dass beides gut zusammenpasst.

In den letzten Jahrzehnten lehnten sich deutsche Filme filmsprachlich und inhaltlich immer stärker amerikanischen Standards an, sodass auf Portalen wie Netflix deutsche Serien nicht mehr als deutschen Serien zu erkennen sind. Wir sind angekommen. Assimiliert und globalisiert. Bildsprachlich muss die Immersion durchgetaktet sein und inhaltlich ist eine Erzählung von Gut und Böse geboten. Die ersten zwei Drittel dürfen kontrovers sein. Wichtig ist immer, was hinten rauskommt. So machen es viele Ami-Filme. Sie thematisieren alle Probleme, die sie oft selbst verursacht haben. Im letzten Drittel sind sie es aber, die dann alle Probleme abräumen, wie einen Strike beim Bowling. Aber selbst diese Anbiederung reicht oft nicht. Bestes Beispiel: Ein Film wie z.B. Freibad ist regelrecht zum Fremdschämen und an sozialkritischer Taubheit und Verblödung kaum zu überbieten. Ende gut, alles gut. Ich hoffe, dass sich kein Goethe-Institut zuständig fühlt und Freibad als deutsches Kulturgut im Ausland anpreist.

Das Dilemma ist auch in einem Focus-Artikel über Schweiger gut festgehalten: Quentin Tarantino war für Dreharbeiten von „Inglourious Basterds“ in Berlin und sagte über Schweigers Film „Knockin’ on Heaven’s Door“: „In diesem Werk erkenne ich meine Einflüsse am besten.“ Aber Schweiger las die Aussage nur in eine Richtung: „Hier wird jeder amerikanische Popcorn-Schrott mehr geschätzt als unsere Arbeit. Wir wollen hier was etablieren und kriegen immer nur aufs Maul.“ Ein Großteil der Kritik konnte eben nichts mit diesem einseitigen eklektizistischen Amerikanismus anfangen und später auch nichts mit seinem amerikanisierten Ikea-Deutschland. Aber es gibt auch Kinobesucher, für die das genau so sein muss. Insofern gibt der Erfolg ihm recht und dem amerikanischen Exzeptionalismus. Will Schweiger wirklich Filme machen, die nur für sich sprechen wollen?

Zurück zur Überschrift: Rainer Werner Fassbinder und Til Schweiger sind zwei Figuren des deutschen Films, die Welten trennen. Auch hier passt alles zusammen, wenn man sich die Filme und die Bedingungen anschaut, unter denen diese Filme entstanden sind. Es wäre eine Frage großer Nachsicht, ob Til Schweiger Opfer oder Täter seiner filmischen Ergebnisse ist. Es hätten übrigens auch Werner Herzog und Doris Dörrie sein können, um das Antipodische oder den Clash im deutschen Film auszudrücken. Aber das möchte ich als Splitscreen noch viel weniger sehen. Oscar Roehler, selbst schon 63 Jahre alt, ist mittlerweile einer der letzten Mohikaner im Film. Christian Petzold und einige andere sind längst absorbiert von den Filmförderungsstrukturen. Uwe Boll ist immer noch keine Lösung, weil er zu viel als Boxer unterwegs ist. Aber weg von den Namen, hin zu den Strukturen, über die gesprochen werden muss.

Daniel Kothenschulte ist ein deutscher Filmkritiker und oft genug, ein guter dazu. Die Krone teilt er sich mit anderen, wie z.B. Rüdiger Suchsland. Nun hat er sich im Rahmen eines Stipendiums die Finger wund getippt und die Entwicklung des deutschen Films von der Nachkriegszeit bis in die Neuzeit analysiert. Was mir beim Lesen sofort aufgefallen ist, dass hier jemand in großen Teilen das Unbehagen verifiziert, was uns Filmemacher schon über Jahre quält. Es ist nicht schön, was es da zu lesen gibt. Es ist größtenteils auch nicht neu, aber wir brauchen alle Jahre wieder einen Kritiker wie ihn, der das einfach mal aufschreibt. Auch die zwei Gesichter, die der deutsche Film zeigt, zieht sich wie ein roter Faden durch seine ganzen Beschreibungen. Und wir können uns später auf Kothenschultes Texte beziehen und sowas, wie „meine Rede“ in den Bart murmeln. Wer vom Thema immer noch nicht genug hat, bekommt hier ordentlich Nachschlag, wenn er den Links folgt.

Vom Autorenfilm zum Produzentenkino: Film ist kein Geschäft

Kino gegen den Stream (IV) – „Gestern die Freiheit – heute der Kosslick“

Kino gegen den Stream (III) – Vom Autorenfilm zum Produzentenkino

Kino gegen den Stream (II) – Das Gespenst der Freiheit

Kino gegen den Stream (I) – Zurück ins Kino?

Kino gegen den Stream (VI) – Meine Jahre

©2023 Text & Bildcollage | Carsten Aschmann, VG Bild-Kunst

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