08/01/2022

Warum Franz Josef Strauß Thomas Brasch segnete

Wir wollen alle höflich miteinander untergehen

Ich war zu wach, um schon einzuschlafen und zu müde, um noch etwas wirklich aufzunehmen. Zu sehr später Stunde sah ich den Dokumentarfilm „Brasch – Das Wünschen und das Fürchten“ von Christoph Rüters, der mir als Einschlafhilfe dienen sollte, aber ich wurde auf einmal wieder putzmunter. Denn es kam in der Dokumentation eine Passage, die doch sehr zu allem passt, was mich im Filmkunst-Konsulat zentral bewegt. Ich fröne da jetzt ein bisschen der Redundanz, um mit inhaltlichen Wiederholungen tiefere Regionen des Hirns zu prägen – heute mit Thomas Brasch. Im Rahmen, der Preisverleihung des Bayerischen Filmpreis 1981 für seinen Film „Engel aus Eisen“ sprach er undiplomatisch und offen zum anwesenden Publikum und zu dem hinter ihm stehenden Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Ganze 40 Jahre ist das nun her. Vorüber Brasch da sinnierte, zeigt sich heute noch deutlicher als uns das lieb sein kann. Wir stellen 2022 fest: Eine noch größere Dominanz des Staates (die Interessen der Lobby gehören dazu), wird gepaart mit einer noch größeren Anbindung des Personals, dass die Fördermittel verteilt. Wir stellen weiter fest: Die darbenden Künstler verlieren zusehends mehr ihre Selbstachtung und das öffnet der Fremdbestimmung Tür und Tor. Wie das geht? Es wird geschwiegen, alle bleiben höflich, fertig ist die Assimilation. Und deshalb passt Thomas Brasch wie Arsch auf Eimer, weil er auf systemische Prozesse unserer Herrschaftsverhältnisse hinweist, die immer noch gültig sind. Er geht das Risiko ein, ausgespuckt zu werden.

Wortlaut der kurzen und großen Rede von Thomas Brasch

„Der Umstand, dass ich diesen Preis aus den Händen des bayerischen Ministerpräsidenten, dessen politische Haltung der meinen entgegengesetzt ist, annehme, hat unter meinen Freunden zu Auseinandersetzungen geführt. Ich möchte hier erklären, warum ich die Annahme oder Ablehnung dieses oder jenes Preises für ein sekundäres Problem halte, hinter dem ein Wichtigeres zu Tage tritt.

Unter den Widersprüchen, die unsere Zeit taumeln lässt …zwischen dem Zerfall der Ordnung, die Staat heißt, und ihrem wütenden Überlebenskampf, zwischen dem Alten, das tot ist, aber mächtig, und dem Neuen, das lebensnotwendig ist, aber nicht in Aussicht – scheint der Widerspruch, in dem ich arbeite, ein Geringer: gleichzeitig ein Denkmal zu setzen dem anarchischen Anspruch auf eigene Geschichte und dies zu tun mit dem Wohlwollen derer, die eben diesen Versuch unmöglich machen wollen und müssen – der Herrschenden nämlich.

Obwohl, wie gesagt nicht der wichtigste Widerspruch, ist er doch für den, der ihm ausgesetzt ist, der mit dem Geld des Staates arbeitet und den Staat angreift, der den subversiven Aussenseiter zum Gegenstand seiner Arbeit macht, und sich selbst zur gleichen Zeit zu einem Komplizen der Macht, ein Entscheidender. Er ist der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin – und er ist nur scheinbar zu lösen mit dem Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion, oder mit der Übernahme der Ideologie der Macht.

Beides sind keine wirklichen Lösungen, denn sie gehen dem Widerspruch aus dem Weg – und die Widersprüche sind die Hoffnung. Erst sie ermöglichen, den Bruch, der durch die Gesellschaft der Leistungen und der staatlichen Macht geht, und durch jedes einzelne ihrer Glieder, in ihrer ganzen Größe zu erkennen. Diese Gesellschaft hat sie geschaffen, hat die Künste in die Zerreißprobe zwischen Korruption und Talent geschleift. Und nicht die Künste werden diesen Widerspruch abschaffen – sie können sich ihm nur aussetzen, um ihn besser zu beschreiben – sondern alle Kräfte, die zur Abschaffung der gegenwärtigen Zustände beitragen, die keine menschenwürdigen sind. Davon handelt mein Film, auch wenn er von Kriminellen handelt, aber die Kriminalität ist der urwüchsige Ausdruck der Auflehnung.“

Warum Franz Josef Strauß Thomas Brasch segnete

Ich denke nicht, dass Kriminalität ein Ausdruck von Auflehnung ist. Oft ist es nur der kürzere Weg zum Reichtum. Die Kriminellen tanzen um das Goldene Kalb, wie alle anderen. Armutskriminalität bildet die Ausnahme. In dem Punkt würde ich Brasch widersprechen. Aber ihre Aktivität ist in jedem Fall ein Indikator, wie total ein Staat seine Bürger schon kontrolliert oder in seiner Struktur korrumpiert ist.

1981 hatte die zuständige Jury, mit ihrer Entscheidung die Politik noch herausgefordert. Heute hat sie, die Politik, nichts mehr zu befürchten. Die Kriterien der Gremien und die ihren haben sich weitgehend synchronisiert. Ein Teil der Gremien und auch der Redakteure des Fernsehens, manchmal sogar in Doppelfunktion, verstehen sich sogar als kreative Kraft. Redakteure sprechen immer von ihren Filmen. Da kracht es
nur so im Urheberrecht. Der Schutz des fertigen Werkes scheint nicht auszureichen.

Im Bereich Film flüchten sich Kuratoren derweil in Retrospektiven, um den Schlachtfeldern zu entrinnen, die ihnen drohen würden, wenn sie aktuelle Entscheidungen treffen müssten. In Retrospektiven können sie sich in der Hauptsache mehr auf filmästhetische Fragen konzentrieren. Film in der Gegenwart wird durch mutlose Entscheidungen Stück für Stück in die Bedeutungslosigkeit geschickt.

Es sind auch zu wenig Leute aus der Praxis in den Gremien. Geisteswissenschaftler unterschiedlicher Couleur neigen zum Halluzinieren, und überschwemmen jeden Film mit Interpretationen, primär um ihren eigenen Kenntnisstand zu überhöhen. Und sie dominieren die Gremien durch mehrheitliche Vertretung. Was sie nicht in den Filmen sehen oder verstehen können, gehört nicht zu ihrer Agenda und ist damit unbedeutend. Manchmal wirken sie wie blinde Propheten und verhalten sich intellektuell inkontinent. Ihre Kritik löst sich oft von den Intentionen des Filmemachers, bzw. lässt sich im Film nicht belegen. Wie wäre es denn mit einem Gespür für das grundsätzliche SPO des Films, wie z. B. Schnitt, Rhythmus und Kadrage etc pp. Wenn jemand nicht lesen kann, überlassen wir ihm dann die Deutung der Sprache? Nichts gegen Geisteswissenschaftler, sie sagen viele gute Sachen, die für uns interessant sind. Aber bitte weniger von ihnen dort, wo sie über unsere Perspektiven entscheiden. Anders als in der Wirtschaft, können sie keine Fehlentscheidungen treffen, weil keine profitablen Ziele damit verbunden sind. Der Erfolg oder Nichterfolg der von ihnen geförderten Projekte hat auch nichts mit ihrer Qualität als Entscheider zu tun, weil es in der Kunst eben keine objektiven Kriterien gibt. Sie können sich in dieser Position nicht selbst gefährden. So verstehen sich dann als Gatekeeper, als nicht angreifbaren Souverän. Sie können nichts falsch machen, aber sie können das Gegenteil nicht beweisen.

Man könnte mir jetzt entgegenhalten, dass sämtliche meiner Behauptungen unbelegt sind. Das stimmt. Ross und Reiter sind nicht benannt. Ich könnte, ja, aber wollen wir es ihnen bzw. denen noch einfacher machen? Sollen diese Leute doch selbst entscheiden oder herausfinden, auf welcher Seite sie stehen oder eingeordnet werden.

1981 hatte Strauß jedenfalls das letzte Wort bei der Preisverleihung: „Und ich darf sagen – Herr Brasch, ich danke Ihnen, dass Sie sich als lebendiges Demonstrationsobjekt der Liberalitas Bavarica vorgestellt haben.“

Die Leistung von Strauss bestand darin, die eigentliche Leistung zu übergehen und durch eine Auszeichnung fachmännisch zu neutralisieren. Heute müssen Politiker Filme nicht mehr segnen, denn in vielen Fällen haben sich die Filme schon vor der Auszeichnung neutralisiert.

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