Es war einmal eine Filmwerkstatt in Hannover
Der Text „Sector 16 – Quo Vadis?“ entstand 2012. Anlass war das 20-jährige Bestehen des Vereins Sector 16. Es war eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verein, den ich mitbegründet hatte. Der Aufsatz fand am Ende keine Berücksichtigung in der Jubiläumsschrift, was ich gut nachvollziehen konnte. In einer Korrespondenz mit Klaus Weingarten (Organisation zur Umformung des Kinos e.V.) schrieb dieser mir:
„Man stecke Dich kurz in ein Unternehmen jeder Art und nach kurzer Zeit hast Du alle Missstände aufgedeckt. Allerdings haben die Vereinsmitglieder, so meine Vermutung, in Dir eine Person mit „Führungsqualitäten“ gesucht oder gesehen. Aber ich glaube, Du lehnst jeden Führungsanspruch oder hierarchische Strukturen kategorisch ab. Da also niemand diese Rolle ausfüllen wollte oder konnte, drifteten die Mitglieder in verschiedenste Richtungen ab.“
Bei meinen Projekten muss ich natürlich die Mütze aufhaben, allein um Chaos zu vermeiden. Ansonsten können mir autoritäre Strukturen gestohlen bleiben – das gilt bis heute. Ob der Verein durch meinen Weggang zerfiel, ehrt mich sehr, aber so weit würde ich dann doch nicht gehen. In stark redigierter Form wurde der Text 2018 in „Zeitreise – 30 Jahre Filmkultur und Medienpolitik in Niedersachsen“ des FMB veröffentlicht. Hier aber nun der Original-Text aus 2012:
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SECTOR 16 – Quo Vadis?
Die Vereinssatzung datiert auf 1992. Ich studierte noch in der Filmklasse Braunschweig. Drei Jahre später ging der Ausbau der Räume auf dem ehemaligen Sorst-Gelände (Hannover-Hainholz) los. Ungefähr um 1998 habe ich per Einschreiben meinen Austritt erklärt. Ob und wie lange ich als eine Karteileiche intern geführt wurde, kann ich allerdings nicht sagen, da ich nie eine Bestätigung bekam. Es geht also um ein Zeitfenster von 7 Jahren, gefüllt mit überwiegend extensiver Arbeit im Verein Sector 16.
Es wird ein subjektiver Blick aus einer Ich-Erzählperspektive, und wenn dennoch ein „Wir“ auftaucht, dann nur deshalb, weil der Verein nicht nur aus mir bestand. Die Namen anderer Vereinsmitglieder aus dieser Zeit wird man in diesem Text vergebens suchen. Ich kann und will nicht für sie mitschreiben. Deshalb entfallen Anekdoten, und andere zwischenmenschliche Fieberkurven.
Vielleicht ist der Wunsch von Klaus Weingarten damit verbunden, eine Verbindung zu ihrer eigenen Geschichte zu finden, bzw. den aktuellen Stand der Filmwerkstatt besser zu verorten. Mein Ziel ist es, mich zu meiner Zeit bei Sector 16 zu bekennen. Und ich will mich gleichzeitig distanzieren, weil ich 1998 mit vielem nicht mehr überein kam. Es soll dem Leser klar vermitteln, dass die Geschichte von Sector 16 nicht als eine Kontinuität zu verstehen ist, sondern als eine Geschichte mit Bruch und Zäsur.
1992 – 1995 – Es geht voran!
Ganz am Anfang hieß die Filmwerkstatt noch Lichtblick 16. Die meisten von uns studierten in der Filmklasse Braunschweig. Es gab viele Gespräche, oft mit Vertagungscharakter und ergebnislos. Gelder aufzutreiben war zeitraubend und nur trocken. Es war eine Zeit, die man als Filmemacher verlor. Es war genau die Phase im Studium angebrochen, seine Berufung zu entwickeln. Gleichzeitig eine Filmwerkstatt zu gründen und aufzubauen kann ein selbstloser Akt werden. Das wurde von uns unterschätzt. Die Aussicht auf Produktionsmittel als Lösung gegen zukünftige wirtschaftliche Engpässe, auf die man hätte zurückgreifen können, war eine vernünftige, weil politische Überlegung. Schließlich waren wir Ziehkinder der 1980er unter dem Diktum von Selbstverwaltung, Subversion, Gegenöffentlichkeit und Autonomie. Aber was nützt der ganze Aufwand, wenn am Ende die Visionen fehlen! Es sei denn, dass man sich eine Zukunft als Vereinsfunktionär genauso gut vorstellen konnte. Zu meiner eigenen Überraschung habe ausgerechnet ich eine Umbenennung des Vereinsnamen in Sector 16 beantragt. Ich wollte es nicht glauben. Ein Protokoll belegt es aber schwarz auf weiß.
Aufgrund der Medienszene in Hannover in den 1990er wurde uns vom damals zuständigen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, unter der Leitung von Jochen Coldewey, ein besonderes Förderungsmodell empfohlen. Alle Mitglieder beantragten Atelierförderungen, diese wurden zusammengelegt, und in den Ausbau einer Filmwerkstatt investiert.
Andere Medien-Werkstätten in Hannover waren schon mit fernsehtauglichen BetaSP-Studios ausgestattet oder mit halbwegs funktionierenden NLE-Systemen (non–linear editing) bestückt. Also stand alles unter der Auflage gewünschter Synergie-Effekte, was letztlich nichts anderes bedeutete, als dass wir die Nische für 16 mm-Film besetzen sollten. Die Entscheidung für 16 mm war also ursprünglich kein Bekenntnis zu diesem Format. Insgesamt kamen wir auf ca. 250 000.-DM Fördermittel durch MWK, Lottostiftung und Sparda-Bank. Wir holten ausgemusterte Schnitttische und Printer aus Berlin von Andec, und Éclairs vom ZDF in Mainz. Ausgerechnet 1995 kamen gute non-lineare Schnittsysteme verstärkter auf den Markt, und die musealen Aspekten der 16 mm-Technik wurden deutlich spürbarer. Ich hätte lieber von Anfang an eine Verbindung zwischen analoger und digitaler Technik gehabt. Denn für mich ist Film die Behandlung von Raum und Zeit durch Schnitt. Die Frage nach analogem Korn oder digitalen Pixel ist für mich eine ästhetische Frage der Oberfläche, ist im Einzelfall zu entscheiden und kein Entweder-oder. Die technologischen Entwicklungen im Bereich Film haben meistens einen wirtschaftlichen Hintergrund und dienen selten der inhaltlichen Entwicklung von Filmsprache. Dessen sollte man sich bewusst sein, selbst wenn man eine Bolex in die Hand nimmt und das Federwerk aufzieht.
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1996 – 1998 Sonne und Regen
Nachdem ich 1996 Meisterschüler wurde, bin ich 1997 für kurze Zeit zu den befreundeten Werkleitzern (ebenfalls Kommilitonen der Filmklasse Braunschweig) in den wilden Osten Deutschlands gegangen, um meine technischen Defizite in einem brandneuen Avid-Studio aufzuholen. Die neuen Möglichkeiten beflügelten mich, und meine künstlerische Entwicklung nahm endlich wieder Fahrt auf. Zugleich wurden mir dadurch die Unzulänglichkeiten in unserer Vereinsstruktur deutlicher. Es sind nicht nur! die kulturpolitischen Vereinsziele, Weltansichten oder Satzungen, die eine Filmwerkstatt so erfolgreich machen, sondern die angebotenen technischen Möglichkeiten mit den dazu passenden Workshops in der richtigen Schlagdichte. Heute noch funktioniert die Werkleitz-Gesellschaft bestens, weil sie das richtig gemacht haben.
Das besondere Finanzierungskonzept von Sector 16 verursachte eine Mischnutzung von öffentlicher Werkstatt und privaten Ateliers. Ich wollte immer nur eine Filmwerkstatt und sah keinen Grund noch zusätzlich ein Atelier zu beziehen. Heute würde mir ein Atelier reichen, weil mittlerweile die ganze Produktionsstraße oder in neudeutsch der „Workflow“ dort Platz fände. Was nicht im Umkehrschluss bedeuten soll, dass Filmwerkstätten überflüssig wären. Die Ateliers hemmten die Entwicklung der Filmwerkstatt, weil es von Anfang an private Gründe gab, dort einzukehren und mehr an sich selbst herumzuspielen. IMO dekonzentrierte es die Energien für kollektive Prozesse. Nichtsdestotrotz konnten wir die erste Zeit über eingerichtete Stellen (in der Zeit waren es BSHG, sowie ABM) wichtige Vereinsarbeiten leisten, wie täglicher Telefondienst, Schriftverkehr, Ordner anlegen, Logistik, Kommunikation etc.
Zu den angenehmeren Aspekten gehörten die Clubabende. Es rückten sogar kleine Filmteams an, die Beiträge drehten, z.B. zum Clubabend über „Williams S. Burroughs“ unter dem Motto „Live Fast, Die Old“. Es gab Reflektionen über Gonzo-Porno oder Punk mit ausgesuchten lokalen Referenten und andere abwegige Themen. Richtig erfüllt hatten mich Seminare, die ich organisierte und durchführte. Es fing mit „Peter Braatz“ alias Harry Rag von S.Y.P.H an. Er wurde eingeladen, um zu zeigen, wie man sich mit großer Leidenschaft durchschlägt, ohne sich einem Markt anzubiedern. Ich machte Musik, er macht noch immer Musik. Wir stehen heute noch in Kontakt. „Dirk Schaefer“ war dann der 2. Auftakt meiner Beschäftigung von Ton und Musik im Film – das Seminar hatte den wenig originellen Titel „Der Ton macht die Musik“. Ich konnte Vereinsarbeit und mein persönliches Interesse, auch die eigene Weiterentwicklung miteinander verbinden. Das war super. Ein absolutes Highlight war dann „Filmmusik und Sounddesign“ mit Irmin Schmidt – Mitglied der legendären Band CAN, der sich auch als Filmkomponist schon einen Namen gemacht hatte. Die Anmeldungen kamen bundesweit. Ich mietete das Studio im „Institut für Wohlklangforschung“ an. Heraus kam ein sogenannter MOTHERTRACK (hier hörbar), der für die Nachwelt aufgezeichnet wurde. Alles stimmte. Zu dem Zeitpunkt dachte ich: Es geht doch! Es gab natürlich noch andere Seminare, nicht von mir durchgeführt, die eine Erwähnung wert sind, wie z.B. Diedrich Diederichsens Diskurs über Film oder die Zusammenarbeit mit der Filmwerkstatt Metamkine. Wunderbare Perlen.
So stellte ich mir eine Filmwerkstatt vor. Das Herstellen von Filmen möglich machen, und das dazugehörige Wissen vermitteln, und über die Region hinaus Filminteressierte mit guten Projekten anzulocken. Währenddessen wurde in Hannover sukzessive alles stillgelegt, was halbwegs Kreativität verkörperte, z.B. die Fachhochschule für Kunst. Es waren die Vorboten einer späteren NDR-gelenkten wirtschaftlich orientierten nordmedia.
1998 Ende Gelände – der Austritt
Aber alle Anstrengungen hatten am Ende nicht gereicht. Gemessen an der Zeit, die wir zur Verfügung hatten, wurde Sector 16 nicht nachhaltig genug strukturiert. Nach drei bis vier Jahren war dann die Luft raus. Der lange Umbau und das Einrichten der Werkstatt in der Anfangsphase täuschte vielleicht darüber hinweg, dass man für die Zeit danach nicht genügend im Köcher hatte. Die Eröffnungsparty von Sector 16 war noch ein rauschendes Fest, eine Grundfertigkeit, die noch von der Filmgruppe „Kreaturen“ herrühren mochte. Aber vielleicht war schon die allererste Veranstaltung, das Symposium „Aufbruch an den Rändern“, ein Warnschuss – ein Hinweis, dass eine erfolgreiche und lange Vereinsarbeit nicht in Aussicht war. Es kam im Vorfeld zu einem entgleisten Schriftverkehr mit Vlado Kristl. Ihm war unsere Unternehmung zu provinziell. Der Unterzeichner des Oberhausener Manifestes sagte wütend ab. Der erste Dämpfer.
Ende 1997 saugte Sector 16 nur Energie ab, die ich besser für eigene Filmprojekte hätte einsetzen sollen. Zudem hatten sich die Vereinsmitglieder zu unterschiedlich entwickelt, und ließen sich nicht mehr harmonisieren. Eine pragmatische Arbeit war immer schwieriger. Alles wurde bleiern. Die Lust war dahin. Die Privatisierung der Räume drang bis in die Werkstatträume vor. Eine schleichende Entwicklung nahm seinen Lauf. Ich trat aus dem Verein aus. Was in den Jahren danach war, entzieht sich meiner Erkenntnis. Sector 16 verschwand aus meinem Bewusstsein.
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2007 Next Generation
Ich hörte dann viele Jahre nichts mehr, bis Gerhard Büttenbender mir erzählte, dass sich eine neue Generation von Studenten der Filmklasse Braunschweig der Werkstatt neu angenommen hätten. Büttenbender glaubte nach wie vor an Sector 16. 2007 gab es dann erste Kontakte zu Klaus Weingarten und Peter Beyer anlässlich eines ersten Jubiläums. Sector 16 auf dem Sorst-Gelände gibt es nicht mehr. Nun wird an Ort und Stelle geschwitzt und geduscht in einer Fitnessfabrik – auch keine schlechte Idee. Das Publikum weiß erst dann, was es will, wenn es das, was es will, zu sehen bekommt, sagte einmal Samuel Goldwyn.
Mittlerweile habe ich auch die neuen Räumlichkeiten in Ronnenberg (Region Hannover) und neuen Mitglieder etwas kennengelernt. Es ist eine neue Generation von Leuten, die gänzlich andere Absichten verfolgen als Sector 16 zu meiner Zeit. Sie wollen mehr als nur eine Filmwerkstatt sein. Nach einer Umbenennung wird Sector 16 in Zukunft Teil einer Organisation sein, die sich mit der Umformung des Kinos beschäftigen möchte. Ich bin gespannt.