29/11/2020

Filmstudium – „Nackt im Wind…

der brüllt und wütet, im Markt, der Menschen frisstund es hat ZOOM gemacht!

Das Film und Medienforum des FMB-Niedersachsen 2020

Wenn in einer ZOOM-Konferenz die niedersächsischen Professoren für Film oder Bewegtbild über die Bedingungen für ihre Studenten sprechen, ist eigentlich alles in Butter. Sie sind wahlweise interkontinental in Marokko, China, Indonesien und Südafrika unterwegs. Nicht nur der Außenminister hat triftige Gründe für weite Reisen. Wer will wem da eine Grenze setzen? Wie viel Globalismus für die CO2-Bilanz verträglich ist, steht hier nicht zur Debatte. Die DFFB, HFF, Ludwigsburg und Babelsberg übernehmen z.b. gerne die Filmstudenten aus Hildesheim, um sie weiterzuentwickeln oder sie dürfen sofort auf der Berlinale mit Coming Of Age-Geschichten abräumen. Hildesheim, Salzgitter und Hannover buhlen nun darum, so etwas wie eine Filmhochschule in Niedersachsen zu etablieren oder sich zumindest als Sprungbrett einen Namen zu machen. Filmtechnisch sind alle Schulen bestens aufgestellt. Öffentliche Mittel im Sinne der Privatwirtschaft, versteht sich. Denn der Bereich Film wird euphemistisch als „Szenische Kunst“ neben den marktrelevanten Ausbildungsmodulen im Studium angeboten. Wirklich inhaltlich wurde hingegen kaum gesprochen, nur zwischen den Zeilen war etwas zu erahnen. Schnell steht fest, dass die HBK in Braunschweig anders ist als die anderen in diesem Quartett – auf das Interkontinentale legen sie allerdings auch viel Wert.

Rare Talente

Vorab wurde dann ein Projekt der Talentförderung nordmedia vorgestellt, wo die Macher, nach Selbstauskunft, angeblich monatelang um eine Logline gerungen haben. Die klingt dann in Stichworten so: „Alkohol am Steuer, fahrlässige Tötung, Protagonist im Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, Stelle als Nachtwächter. Schuldgefühle. Party – Bekanntschaft. Endlich Freunde. Doch die Vergangenheit holt ihn ein.“ Ich muss fairerweise dazu sagen, dass sich eine Logline oft so liest, wie schon tausendmal gehört. Der Film ist noch nicht fertig. Trotzdem: Die Geschichte klingt, wie eine Episode aus der Lindenstraße. So klingen Talente schon wie alte Säcke. Risikoarm. Will ich diesen Film wirklich sehen?

Wozu eine besondere künstlerische Befähigung?

Was für eine Zukunft werden die Studenten haben, die an ihren Schulen eigentlich nicht Film, ausgenommen die HBK Braunschweig, sondern Ästhetische Praxis, Kreatives Schreiben oder Mediendesign und vieles mehr studieren? Wo hat Spielfilm da seinen Platz? Die Idee Film zu studieren, bewegt eher die Lehrenden als die zu Belehrenden. Findet ein Talent nicht sowieso seinen Weg ohne Schule? Diese Ansicht vertreten nicht wenige, wenn es um den kreativen Bereich geht.

Es ist die kooperative Infrastruktur aus Hochschulen, Filmförderungsmittel, GEZ oder seit kurzem Streaming-Plattformen, die den Studenten den Zugang zum Markt ermöglicht und die Frage nach dem Talent nicht zwingend stellen muss. Nach wie vor speist sich aus diesem Pool ein Großteil des Personals, dass planwirtschaftlich und mehrheitlich für die Produktion von Filmen mitverantwortlich ist. Diese Gedanken schwirrten mir im Hinterkopf herum, gerade vor dem Hintergrund, in welchem Zustand sich die Filmkultur insgesamt befindet. Meine Thesen dazu, sollten vorsichtig gelesen werden, weil ich stark verkürze und keine Dissertation verfasse. Und ich richte mich an der Regel aus, nicht an der Ausnahme. Immer mitdenken: Das ist meine Meinung.

Der kleine Riese – Filmkunst

Wer Film tatsächlich als eine Disziplin der Kunst studiert, hat es nach dem Abschluss des Studiums nicht einfach. Die hergestellten Filme werfen kaum Verdienstmöglichkeiten ab, noch können damit die kontinuierlichen Lebenshaltungskosten gedeckt werden. Es gibt zwar Kunstsammler, die Videoarbeiten ankaufen, aber in den Genuss dieser Einnahmen kommen nur wenige. Filmkunst hat in Museen, Galerien oder in den privaten Räumen der Kunst-Käufer ein Darstellungsproblem. Filme können nicht gehängt oder aufgestellt werden. Sie müssen technisch betreut werden. Deshalb sind sie im Verkauf keine Konkurrenz zu traditionellen Künsten. In den 1990er war Film ein Hype an den Kunsthochschulen und hat teilweise zu falschen Einschätzungen eingeladen. Über mögliche Einnahmen durch Leihmieten, müssen wir erst gar nicht sprechen. Gemessen an der Zahl der freischaffenden Filmkünstler, gibt es zu wenig Preise, Stipendien, Lehraufträge oder Professuren für die Filmkunst. Ihr Leben ist von Anfang an nicht nur super-prekär, sondern ihre gesellschaftliche und ökonomische Existenz ist undenkbar und nicht gewollt. Es dürfte Filmkünstler gar nicht geben oder wenn, dann nur eine Handvoll. Kein roter Teppich, kein Scheinwerferlicht.

Deshalb knicken viele nach einer Handvoll Filme weg und streben in andere Gefilde. Ein ehemaliger Kollege beschlägt heute Pferde mit Hufeisen, andere hat es in die Pornobranche verschlagen. Einige waren so klug und haben sich in Institutionen geschlichen und sind Entscheider geworden. Ausgewählter zu sein ist nämlich oft ein singuläres Ereignis, als Entscheider auswählen, ist ein reproduzierbares Vergnügen. Dann gibt es noch die Variante mit einem bürgerlichen Beruf, in der Restzeit wird Kunst gemacht. Eine Zeit lang geht das gut, dann fehlt die Energie und am Ende werden ihre Ambitionen vom Kunstbetrieb nicht mehr ernst genommen. Ist das nicht brotlos? Ich sage: „Lieber brotlos als trostlos.“

Deshalb erstrecken sich die Entwicklungen eines Filmkünstlers nie über seine ganze Erwerbsbiografie, wie bei den Kollegen im Bereich Spielfilm. Kurzfilme, Filmkunst bzw. Experimentalfilm ist auf Menschen zwischen 25 und 35 beschränkt. Das macht sich besonders auf Filmfestivals bemerkbar. Es gibt keinen Dialog mehr zwischen den Generationen, sondern es begegnen sich Leute, die entweder ein oder zwei Filme mehr oder weniger gemacht haben. Begegnet man doch älteren, sind es entweder die Organisatoren oder Kuratoren des Festivals. Die Filmemacher können in ihren jeweiligen Hochschulen zur Zeit des Studiums Solidarität und Empathie füreinander aufbauen. Auf den Festivals lässt sich diese Stringenz nicht ausbilden, da die mögliche Auswahl der Filme und damit der Filmemacher quantitativ und qualitativ zu groß und unterschiedlich ist. Die persönlichen Wiederbegegnungen werden dadurch zufälliger und keiner weiß, wann man sich wieder sehen wird. So entsteht ein versprengter Haufen, der selbst durch ausgetüftelte Alumni-Programme der Hochschulen nicht zusammengehalten werden kann.

Die künstlerischen Filme und deren Macher haben in der Regel keine breite Wahrnehmung und damit kaum einen Einfluss auf ein größeres Publikum. Sie bleiben in einer kleinen Gemeinde auf Festivals, die aber sehr zäh und überlebenswillig ist. Sie haben Vereine und Verleihe gegründet, die aber dadurch stark elitär geprägt, weil in ihr nur wenige Multiplikatoren agieren, die bevorzugt ihre Lieblinge bedienen. Was mitunter zu einer noch größeren Spaltung zwischen Zuschauern und Filmen beiträgt.

Aber der größte Vorteil der Filmkunst basiert auf ihrer Ökonomie, die jederzeit die Umsetzung eines Films denkbar macht, auch unter Umgehung von Filmförderung. Ihr chronischer Geldmangel wird eine Tugend und Crux. Filmkunst hat keinen Markt und ist vom Markt unabhängig. Trotz fehlender Reichweite ist eine hohe Vitalität vorhanden und diese Filmgattung versucht anders zu sein – inhaltlich und/oder formal. Deshalb gibt es in den kleinen Kerngruppen auch eine hohe Zustimmung über die Relevanz der Filmkunst. Im Spielfilm ist Relevanz ein Negativ-Kriterium, weil es mit einer schlechten Quote korrespondiert.

Der große Zwerg – Spielfilm

Tatsächlich werden die meisten Filmschaffenden trotz Filmhochschule höchstens ein oder zwei Spielfilme in ihrem Leben hinbekommen. Eine Statistik, die das widerlegt – gerne vorlegen – dann schreibe ich den Text um. Viele von ihnen gehen peu à peu in die Werbung, machen Social Media oder Imagefilme or whatever it takes. Zumindest darauf werden sie in Hannover, Salzgitter und Hildesheim gut vorbereitet.

Sie müssen das 30. Lebensjahr überschritten haben, bis man sie an höher budgetierte Projekte lässt. Ein Großteil der physischen und psychischen Anpassungsprozesse des Filmschaffenden sind dann schon weit fortgeschritten. Wenn es Spielfilme sind, die sich als Filmkultur verstehen, sind sie sehr von Filmförderung abhängig. Einen freien Markt dafür gibt es hier genauso wenig, wie für die Filmkunst. Aber immerhin gibt der Filmförderungsapparat für Spielfilme den Löwenanteil aus. Aber hier müsste man sagen: Diese Spielfilme haben zwar keinen Markt, sind aber trotzdem nicht unabhängig. Auch sie haben kaum bis gar kein Publikum und werden nach mangelhafter Kinoauswertung im Spätprogramm auf TV-Kanälen versendet und machen sich dort als Einschlafhilfe verdient. Mit Glück gibt es Applaus und Preise auf Festivals, die aber keine Vorhut für einen Erfolg im Kino sind. Der Erfolg verbleibt beim Festival. Am Ende sind ihre Filme von der Wahrnehmung abgeschnitten, genauso wie die Filmkunst. Das Problem: Mainstream im Kino geht nur noch als Blockbuster – fast.

Kiffer-Weisheit: Wer total offen ist, ist nicht ganz dicht

Wie kommt es aber dazu, dass ein Mainstream-Produkt kaum noch größere Zielgruppen findet? Die Konkurrenz im Netz, die Bequemlichkeit der Zuschauer, die hohen Eintrittspreise im Kino, die Politik der Verleiher, die Profit-Interessen der Kinobetreiber und ähnliche Verdrängungsmechanismen lassen wir außen vor.

Das mag jetzt widersprüchlich und weit hergeholt klingen, aber ein Hauptproblem könnte das Diktum der offenen Gesellschaft sein, die Spielfilme politisch korrekt haben will. Die Menschen, die sich durch die Agenda der offiziellen Politik bzgl. Diversität, Multikulturalität, Klimawandel und Migration etc pp nicht angesprochen fühlen, wollen diese Filme nicht sehen. Leute, die diese Agenda für richtig halten, haben keinen wirklichen Bedarf, sie sehen zu wollen. Folge 1: weniger Zuschauer. Folge 2: Dazwischen belanglose und entpolitisierte Komödien, die niemanden wehtun, wie „Leberkäsjunkie“ oder „Fack Ju Göthe“. Die haben Zuschauer. Die existierenden Befindlichkeiten werden homöopathisch in Unterhaltung transformiert, das ist weder subtil noch subversiv. Ein bisschen Heimat hier, ein bisschen Migration da.

In der Summe heißt das ja nur: Es wird in den Spielfilmen nichts mehr wirklich offen diskutiert, was die unterschiedlichen Zielgruppen zum Widerspruch reizt und im Kino zusammenbringt. Zu oft schlagen sich die Filme auf die vermeintlich richtige Seite und demonstrieren eine eindeutige Haltung und moralische Lehre. Diese muss nicht zwingend von den Filmschaffenden selber kommen. Die Redakteure machen ihnen Verbesserungsvorschläge, die sie nicht ablehnen können und on top noch „Sensitivity Reading“ durch alle Instanzen – Dramaturg, Produzent, Förderer et cetera pp. Am Ende dieses Prozesses weiß bestimmt jeder Autor nicht mehr, wer er selbst ist und was er erzählen will.

Der Fisch stinkt vom Kopf. Da nützt es tausendfach nichts, wenn darauf hingewiesen wird, dass es bei Drehbuchautoren auffällig ist, dass sich ein wachsender Teil von ihnen, politischen und gesellschaftlichen Fragen zuwendet. Sie wenden sich den politischen und gesellschaftlichen Fragen so zu, dass sie mit einem Wohlwollen der Förderer rechnen dürfen, da es existenzsichernd relevant ist. Das Ganze wird mit „Kontrovers“ und als „ohne moralischen Zeigefinger“ gelabelt. Alles kann, aber das Ende bzw. die Aussage muss passen, der Film muss auf der richtigen Seite stehen.

Die Bejahung einer offenen Gesellschaft wird von Personen in hierarchischen Strukturen forciert, die in ihren jeweiligen Machtpositionen die Agenda politisch durchsetzen wollen. Sie haben großen Einfluss auf die Filmförderungen, die Richtlinien und das Personal in den Auswahlgremien. Ihre eigenen Privilegien wollen sie aber nicht aufgeben. Das ist die negative Dialektik. Die Verteidigung der offenen Gesellschaft ohne Verzicht auf eigenen Wohlstand, unter den Bedingungen eines Neoliberalismus. Und wie ich schon an anderer Stelle in meinem Blog schrieb, ist Identitätspolitik ein wichtiges Werkzeug in diesem Kontext. Verteilungskampf, Leistungsbereitschaft, Wettbewerb, bei gleichzeitigem Abbau von sozialen Sicherheiten, werden akzeptiert, wenn den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, Schutzrechte plus Opferstatus per se eingeräumt werden. Das ist dann der Ausweis für eine funktionierende Demokratie. Solidarisierungseffekte bleiben aus, weil man in den anderen Gruppen gleiche Interessen nicht mehr wahrnimmt. Die sozio-ökonomischen Unterschiede eskalieren in Ressentiments.

Die Frage wird sein, ob die Hochschulen ihren Studenten oder Studierenden oder Studenten neben einer handwerklichen Ausbildung auch Zeit für eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung, in einem universellen Sinne, geben wollen. Das könnte die Herausforderung in der Zukunft sein – in einer evolutionär bedingten Infrastruktur, wieder eigene Ansprüche zu formulieren und Forderungen zu stellen, anstatt sich damit zufriedenzugeben, in den vorgegebenen Bahnen und Richtlinien erfolgreich zu funktionieren. Dazu wird es eventuell auch nötig werden, sich dem System zu verweigern.

Als Hannoveraner wünsche ich mir selbstverständlich mehr Impulse in der Heimatstadt. Aber diese Erwartung wäre beim aktuellen Ausbildungsprofil der „Hannover University of Applied Sciences and Arts“ eine Überforderung. Die Zukunft des Films im Norden liegt in Hamburg. Und damit ist garantiert nicht die „Hamburg Media School“ gemeint, das Paradebeispiel für einen „Diversity-Overdrive-Hotspot“. An der HFBK-Hamburg, unter der Leitung von Angela Schanelec, entsteht schon seit einiger Zeit eine interessante hybride Filmkultur, die sowohl Filmkunst und Spielfilm mit Impulsen versorgt, sogar miteinander verbinden kann.

©2020 Text & Bildrechte | Still – Stardust 2018 Carsten Aschmann, VG Bild-Kunst

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