29/06/2022

Same shit, different setting -documenta 15

documenta 15 – Gleiche Scheiße, anderer Schauplatz

Es verhält sich mit der documenta ähnlich wie mit dem Film. Hiesige Förderung durch den Staat für die Kunst – analog zur Filmförderung. Da kann man schon als Politiker auf die Idee der staatlichen Kontrolle verfallen, wenn es um die eigenen machtpolitischen Interessen geht. Schließlich muss man ja seine Ausgaben gegenüber dem gemeinen Steuerzahler legitimieren, egal wie viel Wahlversprechen jeder Politiker nach seiner Wahl schon gebrochen hat. Eine Rhetorik, die selbst auf der Straße verfängt, obwohl die kleine Frau und der kleine Mann so oder so von ihnen betrogen werden. Diese Interessen dürften sogar den Untergang ganzer Gesellschaft markieren. Dafür hätte es die nicht mal die documenta fifteen benötigt und der Zuhilfenahme eines indonesischen Kollektivs Ruangrupa. Die Politik will mitbestimmen, welche Filme bzw. welche Kunst genehm sind. Das war der erste Fehler der documenta fifteen, nicht primär Kunst zu kuratieren, sondern Meinungen des globalen Südens auszustellen. Nun ist klar, das war ein Schuss ins eigene Knie.

Meinungen kann man natürlich anders bekämpfen als Kunst. Und da gibt es Keulen, die nicht heißen: Schlechte Kunst, wertlose Kunst, überflüssig, Eskapismus und das kann weg, das ist Unsinn, brotlos, Gaga und Dada. Nein – jetzt geht es um Rassismus und Antisemitismus. Und sie münden in All-Inclusive-Pakete wie Identitätspolitik, Wokeness, Political Correctness, Cancel Culture, Cultural Appropriation, Diversität, Sensitivity Reading, Mikroaggressionen, Gender & Quoten, Multikulturalismus etc. pp. So liest sich das ganze linksliberale Instrumentarium der Kunstfeindlichkeit, was Bazon Brock vereinfacht Kulturalismus nennt. Gut waren diese Pakete gemeint, helfen aber derzeit nur den falschen Interessen – merkwürdig unwoke vorgetragen von Menschen, die eigentlich sonst alles besser wissen. Sogar falsch verstandene Toleranz läuft mittlerweile Gefahr zum Brandbeschleuniger zu werden. Wie lange kann ich oder andere noch darüber sprechen, damit alle wach bleiben, wenn es um den Erhalt der Souveränität der Kunst geht. Es macht müde, weil die Energien in einem unkreativen Diskurs aufgewendet werden müssen, wo der fade Durchschnittskulturalist durch gesicherte Positionen, zwischen Faulheit und Überheblichkeit nie müde wird. Das erklärt auch die zwischenzeitliche Verteidigung der Kunstfreiheit seitens der documenta-Organisatoren, weil man sich nicht mit Kunst beschäftigt hat und dann noch gegen die eigene woke Klientel mit dem Rücken zur Wand stand. Da blieb ja nur noch das übrig, was Claudia Roth sowieso von Anfang an wollte, mehr Einfluss und Kontrolle. Bravo!

Jetzt hat Bazon Brock zur documenta fifteen gesprochen und es klingt, wie das letzte Aufbäumen eines 83-jährigen Aufklärers. Er könnte wirklich der letzte Mohikaner sein. Im Gegensatz zu Botho Strauss lyrischem Essay Anschwellender Bocksgesang, aber nicht mit jenem resignativen Unterton, sondern mit einem offensiven Appell, dass wir jetzt endlich aufbegehren müssen. Ich will hier wesentliche Sätze wiedergeben. Wer das komplette Interview nachhören will, kann das hier im Deutschlandfunk tun.

Re-Fundamentalisierung der Kunst

Bazon Brock:Die documenta zeigt triumphal, als ganz große demonstrative Leistung, was gegenwärtig in der Welt der Fall ist. Nämlich von Erdogan über Putin bis zu Xi – in all diesen totalitär regierten fundamentalistischen Regimen, wird die Front des Kulturalismus gestärkt. Auch im Westen übernimmt man nun die Führerschaft dieser Kulturen und ihrer Herren, im Westen wird nur noch das Kollektiv der Kulturen anerkannt. Es gibt nur noch Entscheidungen aus den Legitimationen des Kulturkontextes, vor allem der politischen Korrektheit innerhalb der Kulturen. Und jede individuelle Äußerungsform, jede Autorität durch Autorschaft, was das Prinzip der westlichen Intellektualität der Schriftsteller, Philosophen, Künstler gewesen ist, wird ein für alle Mal liquidiert. Die jetzige documenta ist nichts anderes als eine Versammlung solcher kulturalistischer Formen.

Die Kultur siegt endgültig über das europäische Prinzip der Kunst und Wissenschaftsfreiheit, die 600 Jahre existiert und enormen Weltkenntnisfortschritt gebracht hat. Die documenta beendet die westliche Idee von Autorität durch Autorschaft, das heißt von Menschen, hinter denen nichts steht – keine Bank, kein Papst, kein Militär, keine Kultur, kein gar nichts und die trotzdem angehört werden, weil das, was sie sagen, interessant und von Wichtigkeit ist, beispielhaft zu zeigen, wie ein einzelner Mensch, ein Individuum, sich in der Welt gegenüber dem Überdruck des „Nicht-Individuellen“, also bloß Kollektiven, der Machtkomplexe von Kapital bis Kirche behaupten kann.

Wir entsprechen also mit der documenta genau der Weltlage. Es ist ein wildes Durcheinander von Leuten, die nicht gerade sehr lange nachgedacht haben. Das ist die Re-Faschistisierung, das ist die Re-Totalitärisierung und Re-Fundamentalisierung aller Autoritäten. Man hat die Nase voll von der Vielfalt der Anforderungen, die Erkenntnis verlangt. Das will man nicht und deswegen kehrt man zurück zum Schafstallgeblöke der kulturellen Identitäten. Sie haben im Namen der Kunstfreiheit, die Kunst liquidiert. Diese documenta ist die beste, weil sie die aktuelle Situation der Weltlage, am besten abbildet. Sie ist die gefährlichste. Jetzt kann man nicht mehr davon absehen, prononciert Stellung zu beziehen. Jeder ist jetzt aufgefordert. Man muss sich jetzt entscheiden – gehört man zu den Kulturalisten, die alles vernichten.“

Wake me up before you go-go. Don’t leave me hanging on like a yo-yo

Auch Wolfgang M. Schmitt verweist in seiner Film-Analyse über Fitzcarraldo auf Bazon Brock. Die allermeisten Künstler in Deutschland können ihrer Gesamtsituation sozial und ökonomisch nicht entrinnen, nicht ins Exil flüchten. Wohin auch und warum, um in einer Gauguin-Falle zu landen? Eine Handvoll schlimmster Influencer emigrieren in die legendäre Kunstmetropole Dubai. Genau da gehören sie hin. Ich muss an ein T-Shirt denken, auf dem steht: Vorsicht – ich bin zu dick zum Wegrennen – Ich kämpfe.

©2022 Text & 2012 Bildrechte | Carsten Aschmann, VG Bild-Kunst

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